Gedanken zum Pfoten-Pfad

Einer führt, einer folgt

Eckard Wulfmeyer • 17. August 2025
Lisa Pannenberg mit ihrer Hündin Aurora auf einem Marktplatz




Immer wenn du mit deinem Hund zusammen bist, gibt es nur diese beiden Rollen: Einer führt, einer folgt.
Etwas anderes kommt im archaischen Weltbild des Hundes nicht vor. Es ist kein Konzept, über das er nachdenkt, kein philosophisches Gedankenspiel, es ist ein Urinstinkt. Ohne Führung geht es nicht, denn ohne Führung bricht das Rudel auseinander, verliert Sicherheit, Richtung und Struktur.

Wenn du als Mensch nicht führen willst oder kannst, dann übernimmt das der Hund. Er macht das nicht aus Bosheit oder Rebellion, sondern weil er glaubt, dass es sonst niemand tut. In seinen Augen wäre das sonst ein lebensgefährlicher Zustand. Und wenn er führt, dann bist du automatisch derjenige, der folgt.


Wenn der Hund führt: Chaos ist vorprogrammiert.

Es war ein sonniger Nachmittag, und ich fuhr mit dem Fahrrad einen schmalen Waldweg entlang. Vor mir lief eine Frau mit ihrem Labrador. Zumindest theoretisch, praktisch lief der Labrador ganz vorne, die Leine straff wie ein Drahtseil.
Man konnte richtig sehen, wie er die Entscheidungen traf: Hier mal schnuppern, dort rüberziehen, abrupt stehen bleiben, weil ein Schmetterling den Weg kreuzte. Die Frau lief hinterher, den Blick auf den Hund gerichtet, die Schultern leicht nach vorne geneigt. Jede Richtungsänderung kam von ihm.
An einer Kreuzung bog er ohne Vorwarnung links ab, und sie stolperte fast hinterher. Der Hund hatte entschieden, und sie folgte.

Das Spannende: Der Labrador war nicht „ungezogen“. Er führte einfach. Er füllte das Vakuum, das entstand, weil niemand sonst die Führung übernahm. Und aus seiner Sicht war das absolut richtig.


Wenn der Mensch führt: Der Hund entspannt.

Ein paar Tage später sah ich eine ähnliche Szene – nur mit umgekehrten Rollen. Ein Mann ging mit seiner Hündin auf einem belebten Feldweg. Die Leine hing locker durch, die Hündin trottete an seiner Seite, mal etwas vor, mal etwas zurück.
Als ein anderer Hund auftauchte, hob der Mann nur kurz die Hand und machte einen kleinen Schritt nach links. Die Hündin sah zu ihm, passte ihre Position an, und beide gingen ruhig weiter.
Keine Zerrerei, kein Bellen, keine Hektik. Man konnte sehen, wie der Hund sich auf seinen Menschen verließ. Er musste nicht entscheiden, ob Gefahr drohte oder ob man den anderen Hund begrüßen sollte. Die Entscheidung hatte längst jemand anderes getroffen.


Das verbindende Prinzip

Diese beiden Szenen zeigen denselben Mechanismus, nur in entgegengesetzter Richtung. Entweder übernimmt der Hund, oder der Mensch tut es.
Führung heißt nicht, dass der Hund keinen Spaß haben darf oder immer „bei Fuß“ laufen muss. Es heißt, dass er weiß, wer die Richtung vorgibt, wer im Zweifel die Entscheidungen trifft und dass er sich darauf verlassen kann.

Und genau hier liegt der Kern:
Einer führt, einer folgt. Immer.


von Eckard Wulfmeyer 10. Juli 2025
In unserer Gesellschaft hat sich die Definition von Führung gewandelt. Nicht mehr der autoritäre Chef mit erhobenem Zeigefinger gilt als Leitbild, sondern der Mensch, der Orientierung gibt, Klarheit lebt, Verantwortung übernimmt, und zugleich Freiräume lässt. Dieses Verständnis von Führung, neudeutsch: Leadership, lässt sich überraschend gut auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund übertragen. Viele Hundehalter sehnen sich nach Harmonie mit ihrem Hund ohne Druck, ohne Zwang. Gleichzeitig fürchten sie sich davor, „zu streng“ oder „zu fordernd“ zu wirken. Sie wollen lieber „auf Augenhöhe“ kommunizieren. Das ist grundsätzlich ein wertvoller Impuls, aber oft missverstanden. Denn wahre Führung hat nichts mit Kontrolle oder Konditionierung zu tun. Wahre Führung ist gelebte Klarheit. Führung beginnt mit dir selbst Ein guter Leader, ob in der Familie, im Unternehmen oder im Rudel, weiß, wofür er steht. Er kennt seine Werte. Er übernimmt Verantwortung. Und er trifft Entscheidungen, auch wenn sie nicht immer bequem sind. Übertragen auf den Hund bedeutet das: Der Mensch muss zuerst innerlich klar sein, um äußerlich Orientierung geben zu können. Ein Hund braucht einen „Chef“. Er braucht jemanden, der weiß, wo es langgeht und das ausstrahlt. Der nicht ständig fragt: „Was willst du?“ sondern sagt: „Ich weiß, was jetzt gut für uns beide ist.“ Führung heißt, die Richtung vorzugeben und nicht, alles zu kontrollieren Ein häufiger Irrtum: Wer führt, muss ständig Entscheidungen treffen, alles im Blick haben, jedes Verhalten seines Hundes kommentieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Gute Führung bedeutet, den Raum für Selbstwirksamkeit zu schaffen, ohne sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen. Du entscheidest, wann dein Hund Verantwortung übernehmen darf, nicht er. Und du entscheidest auch, wann du sie wieder zurücknimmst. Das ist der Unterschied zwischen Freiheit und Führungslosigkeit.
von Eckard Wulfmeyer 9. Juli 2025
Ein Hund, der nur Kommandos bekommt, verlernt das selbstständige Denken. Er wird zur Marionette auf Ansage. Auf Funktion dressiert, aber nicht mehr wirklich lebendig. Das klingt drastisch? Ist es auch. Und doch ist es genau das, was wir im Alltag so oft sehen: Der Hund soll „Sitz“, „Platz“, „Fuß“, „Aus“, „Bleib“, auf Ansage, auf Knopfdruck ausführen. Und bitte ohne Diskussion. Er wird gesteuert, geschoben, gestoppt. Und nie zum eigenen Denken eingeladen. Es ist, als würden wir ihm sagen: „Denk bloß nicht selbst, ich erledige das für dich.“ Doch damit geben wir etwas Entscheidendes auf: Beziehung. Denn Beziehung lebt von Mitdenken. Von eigenem Fühlen. Von Kommunikation in beide Richtungen. Im Pfoten-Pfad gehen wir genau diesen anderen Weg. Wir wollen Hunde, die verstehen – nicht nur funktionieren. Hunde, die beobachten, abwägen, sich einbringen. Nicht aus Trotz, sondern aus Vertrauen. Weil sie wissen: Ich darf hier denken. Ich darf fühlen. Ich werde ernst genommen. Wenn du deinem Hund immer nur sagst, was er tun soll, überhörst du vielleicht längst, was er dir sagen und zeigen will. Der denkende Hund – ein stiller Beobachter Ein denkender Hund ist kein gefährlicher Hund. Er ist ein wacher Hund. Er beobachtet nicht nur seine Umwelt, sondern immer auch dich. Er registriert, wann du gestresst bist, wann du unkonzentriert bist, wann du Sicherheit ausstrahlst. Und er zieht daraus seine eigenen Schlüsse. Ein Beispiel: Wenn du in stressigen Situationen regelmäßig die Leine straff ziehst, wird dein Hund irgendwann lernen: Wenn die Leine eng wird, passiert gleich etwas Aufregendes. Er wird darauf reagieren, mit Spannung, vielleicht mit Gebell oder Fluchtverhalten. Nicht, weil du ihm ein Kommando gibst, sondern weil er denkt. Weil er gelernt hat, Zusammenhänge zu verstehen. Weil er mitdenkt. Alltag als Lernfeld Jede Begegnung im Alltag ist eine Einladung zum Mitdenken. Wenn du deinem Hund Raum gibst, zu begreifen, was gerade passiert, statt ihn reflexhaft durch Kommandos zu steuern, entsteht echte Entwicklung. Beispiel: Du gehst mit deinem Hund durch einen belebten Park. Ein Jogger kommt näher. Du bleibst ruhig, atmest aus, signalisierst mit deinem Körper: keine Gefahr. Dein Hund beobachtet dich, scannt den Jogger, orientiert sich, und entscheidet sich, einfach weiterzugehen. Ohne Bellen, ohne Hektik. Das war kein Gehorsam. Das war Verstehen. Solche Momente sind unbezahlbar. Denn sie zeigen: Der Hund erkennt Zusammenhänge. Er übernimmt Verantwortung – für euer beider Sicherheit, für das Klima eurer Beziehung. Beispiel aus der Praxis Ein Teilnehmer erzählte: „Ich habe meinem Hund das Kommando 'Bürgersteig' beigebracht. Damit er lernt, an der Straße zu warten und nicht unkontrolliert auf die Straße läuft. Es funktionierte. Aber eines Tages blieb er plötzlich ohne Kommando stehen, weil ein Kind auf dem Fahrrad die Straße kreuzte. Ich war verblüfft – er hatte selbst entschieden zu warten. Da begriff ich: Mein Hund denkt mit. Ich muss nicht immer alles vorgeben. Er kann Verantwortung übernehmen – wenn ich ihn lasse.“ Erfahrungsbericht von Lisa „Manchmal fahre ich mit meinen Huskys Fahrrad. Wir überqueren dabei Straßen – auch befahrene. Nach kurzer Zeit begannen die Hunde selbstständig, vor Kreuzungen langsamer zu werden. Sie schauen links, rechts – und warten, wenn ein Auto kommt. Ohne Kommando. Ohne Zuruf. Sie entscheiden. Und sie entscheiden richtig. Weil sie verstanden haben, worum es geht. Nicht aus Angst, sondern aus Eigenverantwortung.“ Im Winter Lapplands Es war während eines 250-Kilometer-Langstreckenrennens in Schwedisch-Lappland. Lisa war mit ihrem Schlittenhundegespann unterwegs, acht Alaskan Huskys, eingespielt, kraftvoll, ein echtes Team. Es war mitten in der Nacht, als sie auf ein Fjell gelangten, oberhalb der Baumgrenze. Der Himmel war dunkel, die Sicht gleich null. Und dann begann es zu schneien, nicht ein bisschen, sondern heftig. Innerhalb einer Stunde fielen rund fünfzig Zentimeter Neuschnee. Der Trail war nicht mehr zu erkennen. Weg, ausgelöscht. Für Lisa bedeutete das: keine Orientierung. Kein GPS-Signal. Kein Plan. Nur noch sie, der Schlitten – und acht Hunde im endlosen Weiß. Und sie tat das einzig Richtige: Sie übernahm nicht die Kontrolle. Sie gab sie ab. Lisa stoppte das Gespann. Sie trat nach vorn durch den Schnee, stellte sich zu ihren Hunden in den Kreis. Und dann sprach sie. Leise, ruhig, direkt. Es war eine dieser Situationen, in denen es nichts zu befehlen gibt – nur Vertrauen. Besonders ihre beiden Leithündinnen, allen voran Freya, richtete sie an. Denn jetzt kam es auf Freya an. Nicht auf ein Kommando. Sondern auf ihre Fähigkeit zu denken, zu fühlen, zu entscheiden. Am Ende sagte Lisa nur einen einzigen Satz: „So , jetzt bringt uns nach Hause.“ Und Freya verstand. Nicht, weil sie das Wort „Zuhause“ jemals trainiert hatte. Nicht, weil es dafür ein Kommando gab. Sondern, weil sie die Situation begriff. Sie las den Moment. Sie fühlte die Verantwortung. Und sie handelte. Freya begann, unter dem frischen Schnee den Trail zu suchen. Etwas, was sie nie zuvor im Leben getan hatte. Sie begann zu mantrailen – aus sich heraus, ohne je darin ausgebildet worden zu sein. Immer wieder wechselte sie die Richtung, prüfte, schnüffelte, schloss aus, korrigierte. Und dann: fand sie die Spur. Sie hielt sie. Für Stunden. In völliger Dunkelheit, bei dichtem Schneetreiben. Die restlichen sieben Hunde vertrauten ihr bedingungslos. Lisa auch. Sechs Stunden lang folgte das Gespann der Nase einer Hündin. Nicht einem Ruf, keinem Zwang, keinem „Jetzt aber los“. Sondern einem stillen, echten Vertrauen. Freyas Nase führte sie sicher vom Fjell hinunter – bis zum nächsten Checkpoint. Was lernen wir daraus? Ein Hund, der nicht nur funktioniert, sondern mitdenkt, kann in Situationen wie dieser Verantwortung übernehmen, und zwar weit über das hinaus, was jemals „trainiert“ wurde. Ein solcher Hund ist kein Befehlsempfänger. Er ist ein Partner. Und das ist es, was wir auf dem Pfoten-Pfad fördern: kein Gehorsam auf Knopfdruck, sondern Verstehen, Mitdenken, Handeln. Ein Hund, der denkt, kann führen. Und manchmal ist genau das nötig. Beziehung benötigt Vertrauen, kein Dauerkommando Diese Situationen zeigen: Selbstwirksamkeit entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen. Der Hund wird nicht ungehorsam, wenn er denkt, er wird sicherer. Und innerlich aufgerichtet. Im Pfoten-Pfad begleiten wir dich auf diesem Weg. Wir bauen keine Maschinen. Wir begleiten fühlende, lernende Hunde und Menschen, die bereit sind, zuzuhören. Denn ein Hund, der mitdenkt, ist kein Risiko. Er ist dein größter Partner auf vier Pfoten.